Der Wutkäfig
(5 min Lesezeit)
Lass uns über Wut sprechen. Oder vielleicht denken wir zuerst darüber nach. Nimm dir ein paar Minuten Zeit und denk darüber nach, wie du Wut normalerweise spürst und erlebst. Welche Erinnerungen und Gefühle assoziierst du mit dem Wort? Und als du das letzte Mal wütend warst, was war der Auslöser dafür? Was sind die Dinge, die dich so richtig auf die Palme bringen? Bist du jemand, der sich leicht ärgert oder eher der entspannte Typ? Und bist du wirklich das, was du gerade auf meine letzte Frage geantwortet hast? Manchmal wären wir gerne etwas, was wir aber gar nicht sind, vor allem, wenn es um negative Eigenschaften und Gefühle geht. Und dann flunkern wir uns selbst etwas vor.
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Denk noch ein bisschen mehr darüber nach ...
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Wut kann viele Formen annehmen. Ich würde fast sagen, dass Wut in all ihren Ausdrucksformen genauso individuell ist wie Liebe. Jeder Mensch erlebt sie auf eine sehr persönliche Weise und verknüpft damit spezielle Erinnerungen. Diese Ausdrucksformen haben aber alle eines gemeinsam: Sie sind deine Verantwortung. Du bist der- oder diejenige, die das Feuer der Wut in Kopf und Körper entfacht und schürt und du musst dich darum kümmern. Tust du das? Ich lade dich ein, auch darüber eine Weile nachzudenken.
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Denk noch ein bisschen mehr darüber nach ....
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Bereit für den nächsten Gedankenschritt?
Stell dir vor, dass du jedes Mal, wenn irgendetwas bei dir auf den Wut-Auslöser drückt, automatisch in einen Käfig geworfen wirst. Dieser Wutkäfig ist aus der Kombination deiner Persönlichkeit, deiner Erziehung und deinen Lebenserfahrungen entstanden. In manchen Kulturen ist Wut zeigen akzeptierter als in anderen und selbst innerhalb einer Kultur findet man Unterschiede. Charakter und Familiendynamiken machen hier viel aus.
Und so kann dein Wutkäfig so groß oder klein sein, wie du magst. Ein bisschen hängt es davon ab, wie sehr du dich bewegst, wenn du wütend bist. Manche Käfige haben dicke Metallstangen und andere wiederum feine Netze, die den Wütenden im Inneren halten. Manche Menschen sind sehr „explosiv”. Man sieht und hört ihnen direkt an, wenn sie verärgert sind und sie lassen ihre Umwelt daran teilhaben. Diese Menschen haben dicke Gitterstäbe um ihren Käfig herum, durch die sie hinausschauen und mit den Vorbeilaufenden interagieren können. Das Gegenteil davon sind Menschen, die ihre Wut nach außen hin nicht zeigen, dafür aber im Inneren wüten und toben. In unserer Metapher haben sie ein feines Netz um ihren Käfig gespannt, das kaum Einblicke ins Innere zulässt. Und dann gibt es alles, was zwischen diesen beiden Extremen liegt. Lass dir das mal einen Moment durch den Kopf gehen. Wie sieht dein Käfig aus und wie gehst du mit Wut um? Denk auch an die Menschen, die dir nahestehen bzw. mit denen du arbeitest. Wie reagieren sie, wenn sie wütend sind?
Alle Wutkäfige haben Türen, aber die Herausforderung daran ist, dass sie sich nicht nur dann öffnen lassen, wenn im Käfig alles still ist. Kein Lärm, keine Bewegung. Das heißt für dich, dass du darin gefangen bist, solange du wütend bist. Stell dir vor, dass alles, was du sagst, denkst oder fühlst in dem Moment zu Objekten wird, die du mit Wucht um dich schmeißt. Ich nenne das mal Wutmüll. Wenn dein Käfig jetzt dicke Gitterstäbe mit viel Luft dazwischen hat, wird all der Wutmüll an den Stäben zurückprallen, zerbrechen oder vielleicht teilweise nach draußen gelangen und die treffen, die das Pech haben, gerade an dir vorbeizulaufen. Die Reaktionen darauf können sehr unterschiedlich ausfallen. Der eine wird vielleicht davon angestachelt in seinen eigenen Wutkäfig springen und Wutmüll zurückwerfen, andere haben eine wutabweisende Schutzschicht und schütteln es ganz leicht ab und gehen weiter, bei anderen wiederum wird es an Körper und Haaren festkleben und sie müssen es mit sich rumtragen, bis sie eine Möglichkeit gefunden haben, es zu entfernen. Die schlechte Nachricht ist insgesamt, dass es Menschen gibt, die kein Problem damit haben, deine Situation auszunutzen und deinen Wutmüll für ihre Zwecke oder gar gegen dich zu verwenden. Das möchtest du bestimmt verhindern. Es gibt aber auch jene, die die große Kunst des Zuhörens und Beobachtens beherrschen. Sie stehen unbeirrt neben dem Wutkäfig, fangen den Wutmüll auf, schauen ihn sich genau an und nutzen ihn dann, um dich soweit zu beruhigen, bis die Tür wieder aufgeht. Wenn das endlich möglich ist, ist der Käfig fast leergefegt. Der Wutmüll, der jetzt noch im oder vor dem Käfig herumliegt, ist unvollständig, weit verstreut und teilweise zerbrochen. Daraus wird man nicht mehr viel herauslesen können.
Wenn dein Käfig aber ein feines Netz zwischen dir und der Außenwelt hat, sieht es ganz anders aus. Da kannst du noch so sehr im Käfig wüten und Wutmüll herumschmeißen, kaum etwas davon wird nach außen dringen, bzw. von außen sichtbar sein. Vielleicht schaffen es hier und da ein paar Staubkörner durch das Netz, aber die sind kaum wahrnehmbar. Der Außenstehende wundert sich vielleicht darüber, aber kann nicht viel damit anfangen. Und so kommen weder eine Gegenreaktion noch Hilfsangebote zustande. Und im Käfig begräbst du dich nach und nach unter all dem Müll. Wenn du es dann endlich geschafft hast, dich zu beruhigen, wird es nochmals eine Weile dauern, bis du dich durch den Müll und bis zur Tür gegraben hast, wenn du weißt, wo sie ist. Es ist, als wärst du tief und orientierungslos in einem riesigen Bällebad versunken.
Egal wie dein persönlicher Wutkäfig aussieht, es ist immer eine Herausforderung, damit umzugehen. Deshalb möchte ich ein kleines Gedankenexperiment vorschlagen:
Vielleicht hat dir die kleine Übung am Anfang schon geholfen oder du kennst dich schon gut genug, um deine eigenen Zeichen von anstehender Wut zu erkennen. Das braucht etwas Übung. Wenn du sie aber dann kennst, kannst du entweder in den Wutkäfig geworfen werden oder du entscheidest dich aktiv dafür, draußen zu bleiben und die Kontrolle zu behalten. Und dann stehst du vor dem Käfig, der jetzt drei solide Wände und nur eine „offene” Seite hat. An der stehst du und schmeißt den ganzen Wutmüll in den Käfig. Dort häuft er sich auf, ohne zu zerbrechen, verlorenzugehen, oder jemand Unbeteiligtes zu treffen. Und du wirst auch nicht selbst davon begraben. Das machst du so lange, bis nichts mehr nachkommt.
Ich bin jemand, dem es schwerfällt, Ärger zu zeigen. Mir hilft es also sehr, das dann mit einem Freund durchzusprechen oder es aufzuschreiben. Andere müssen sich vielleicht eher physisch abreagieren. Ihnen hilft es, alleine spazieren oder joggen zu gehen, Kissen zu verhauen oder einfach irgendwo einen ordentlichen Schrei loszulassen. Es gibt so viele Möglichkeiten und du kannst für dich selbst entscheiden, was für dich passt. Und dann beobachte und bleib geistig präsent. Denn wenn du dich dann ausgetobt hast, hast du die Möglichkeit, in den Käfig zu steigen und dir alles anzusehen, was dort liegt. Nichts ist zerbrochen oder wurde vom Winde verweht. Du bist auch nicht unter dem Haufen Müll begraben. Und so kannst du mit etwas Abstand durch alles durchgehen. Was siehst du? Was kannst du davon lernen? Gibt es Dinge, die du vielleicht anders siehst, wenn du nicht wütend bist? Und gibt es Dinge, die immer wieder auf dem Wutmüllhaufen landen, obwohl sie vielleicht mit der aktuellen Situation gar nichts zu tun haben? Schau sie dir genau an, denn sie erzählen dir so viel darüber, was hinter deiner Wut verborgen liegt.
Ich dachte immer, dass Wut etwas Negatives ist. Etwas, das man definitiv vermeiden sollte. Und so hatte ich gelernt, Wut nicht zu zeigen und sie in mich hineinzufressen. Ich war fast davon überzeugt, dass ich eher entspannt bin und jemand, den nichts so leicht aus der Ruhe bringt. Aber jedes Mal, wenn ich dann doch wütend wurde, hatte sich ein riesiger Haufen Wutmüll in mir angesammelt und ich reagierte dann in einer Weise, die der Situation gar nicht angepasst und nicht sehr hilfreich war. Es war nicht leicht, mich dann wieder zu beruhigen, und ich hatte auch ein wenig Angst davor zu sehen, wie zerstörerisch meine Wut sein konnte. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sieht, und auch niemanden verletzen. Letztendlich habe ich mich und meinen Körper damit aber selbst verletzt. Jetzt habe ich daraus gelernt, bzw. lerne ich weiterhin immer wieder dazu. Wut ist eine Lebensenergie, die sehr nützlich sein kann, wenn man sie im Griff hat. Gut kontrollierte Wut hilft dir dabei, Grenzen zu setzen, dich und deine Lieben zu beschützen, oder dir den nötigen Energieschub zu geben, den zu brauchst, um Dinge anzugehen, die du vielleicht hast schleifen lassen.
Wut kann dein Lehrer sein, wenn du bereit bist, Geduld aufzubringen und zu beobachten. Es ist wirklich wertvoll, das zu lernen. Im Endeffekt bist du es, der/die reagiert. Das ist dein Wutmüll, der von deinem Verstand und Körper produziert wurde, und du hast die Wahl, wie du damit umgehen möchtest. Entweder lässt du deinen automatischen Reaktionen freien Lauf oder du übernimmst das Ruder und nutzt die Energie, um damit etwas Nützliches zu machen.
Worte, Handlungen oder Situationen können Wut in dir entfachen und werden es auch immer wieder tun. Sie sind der Auslöser, aber niemals verantwortlich. Die Verantwortung für die Reaktion liegt bei dir.
Wie gehst du mit Wut und Ärger um? Hast du sie unter Kontrolle oder lässt du sie unkontrolliert toben?
Was tust du normalerweise, wenn du wütend bist, und gibt es vielleicht etwas, das du anders machen möchtest?
Wie behandelst du andere in solchen Situationen? Und wie behandelst du dich selbst?
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Denk darüber nach...