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Wenn Worte Bälle wären

(8 min Lesezeit)

 

Wenn Worte Bälle wären, wie sähen sie aus?

Wenn Worte Bälle wären, wie flögen sie von Mensch zu Mensch?

Wenn Worte Bälle wären, würden wir uns besser überlegen, welche wir im Gespräch wählten?

 

Ein Gedankenspiel darüber, wie hochsensible Menschen Kommunikation erleben.

 

Wenn Worte Bälle wären, dann tauchten sie vermutlich in den unterschiedlichsten Farben und Größen auf. Wortbedeutungen gibt es in einer Vielfalt, die wir auch im Farbspektrum des für uns sichtbaren Lichts wiederfinden. Stell dir also vor, dass "Sonne" ein gelber, "Baum" ein grüner, "Tannenbaum" ein dunkelgrüner, "Wasser" ein blauer, "Schokolade" ein brauner und "Liebe" ein roter Ball wäre. Manche Wortbälle hätten bestimmt eine sehr ähnliche Färbung, auch wenn ihre Bedeutung gegensätzlicher nicht sein könnte. Denken wir z.B. an "Wut" und "Liebe", die beide oft mit der Farbe rot assoziiert werden. Wir sehen, dass Farbe alleine als Unterscheidungs-merkmal hier nicht ausreicht.

Ich lade dich in meine kleine Gedankenwerkstatt ein, in der wir der Kreativität freien Lauf lassen und die Bälle aus den unterschiedlichsten Materialien erschaffen können: Watte, Papier, Holz, Glas, Stein, Eisen und Vieles mehr. Denk einmal an all die Gespräche, die du in deinem Leben bisher geführt hast. Bestimmt kannst du beobachten, wie vor allem Kontext, Lautstärke und emotionale Ladung einen Einfluss darauf haben, als wie stark, hart, negativ, bestimmt, liebevoll, schmeichelhaft oder positiv wir ein gesagtes Wort erleben. Wir können z.B. harte Steinbälle in einen flauschigen Watte-Kontext packen, starke Emotionen als kleine Glaskugeln einem Wollball beimischen, oder auch die Lautstärke kontrollieren und den Ball sanft übergeben, anstatt ihn unserem Gesprächspartner mit voller Wucht entgegenzuschmettern. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten und es liegt in der Hand des Sprechers, in jeder Situation die richtige Wahl zu treffen.

Worte sind ein mächtiges Werkzeug, mit dem wir unsere eigene Realität und die der anderen beeinflussen können. Worte können heilen und verletzen, Worte können zusammenbringen und trennen, Worte können angenehm oder unangenehm sein und Worte können aufbauen oder zerstören. Nehmen wir diesen Gedanken als Einstieg in unsere Welt der Bälle:

 

Als Grundidee können wir annehmen, dass Kommunikation ein konstanter Austausch von Wortbällen ist. Und auch hier erleben wir unzählige Variationen, die davon abhängen, in welcher Situation wir uns gerade befinden und mit wem wir kommunizieren. Hören wir unserem Gegenüber zu, so nehmen wir dessen Gesprächsbälle an, und wollen wir antworten, suchen wir passende Bälle aus und werfen sie zurück. Sind wir aber z.B. im Theater oder Zuhörer einer Rede ist es einseitiger. Hier lassen wir uns von den Bällen berieseln, die von der Bühne oder aus den Lautsprechern purzeln. Unabhängig davon gilt jedoch: Je mehr Aufmerksamkeit wir einem Gespräch schenken, desto sorgfältiger schauen wir uns die erhaltenen Bälle an. Im freundlichen Gespräch fliegen die Bälle gemächlich vom Einen zum Anderen, im Streit jedoch nimmt die Geschwindigkeit zu und die Bälle fliegen uns manchmal so sehr um die Ohren, dass wir kaum die Möglichkeit haben, sie zu betrachten und mit Bedacht zu antworten. Da kann es schon mal passieren, dass ungewollt harte Bälle zum Einsatz kommen. Zusätzlich dazu pflegt jeder Mensch seinen ganz eigenen Kommunikationsstil, den er auf Grund seines naturgegebenen Charakters und den Erfahrungen in seinem Leben erstellt hat, und sucht sich die Bälle dementsprechend aus. Die einen bevorzugen die härteren, spürbaren Bälle und brauchen sie vielleicht sogar, um das Gegenüber zu verstehen, die anderen ertragen diese nur schwer und wählen eher weichere Varianten aus. Manche Menschen sind bei der Wahl ihrer Bälle sehr sorgfältig, andere agieren eher spontan, intuitiv, impulsiv. Das macht Kommunikation sehr bunt und reich an Möglichkeiten, aber vor allem dann zur Herausforderung, wenn unterschiedliche Kommunikationstypen aufeinandertreffen.

Ich spinne den Gedanken noch etwas weiter und betrachte die Art und Weise, wie wir die Gesprächsbälle annehmen oder abwehren. Stell dir vor, jeder Mensch käme mit einer Art Schutzausstattung auf die Welt. Wer es lauter und intensiver mag, besitzt meist einen Ganzkörperschutz wie ihn damals im Mittelalter die Ritter trugen. An dieser Rüstung prallen auch sehr harte Bälle problemlos ab. Andere Menschen tragen einen Schutz nur an manchen Körperteilen, wie z.B. Fußballer oder Rugbyspieler. Je nachdem, wo der Ball aufprallt, verursacht das dann Schmerzen oder auch nicht. Bei starkem Aufprall auf ungeschützte Stellen kann es durchaus zu sichtbaren und unsichtbaren Wunden kommen.

Mit diesem Bild können wir jetzt gedanklich alle Menschen in einer Reihe aufstellen, je nachdem wie stark sie auf Einflüsse und Reize von außen reagieren. Und dann lade ich dich ein, mit mir ans Ende der Kette zu laufen und zu schauen, was wir dort finden. Vielleicht bist du erstaunt, wenn du dort Menschen siehst, die keinerlei Schutzausrüstung tragen und Gesprächsbälle ausschließlich mit dem Körper und den Händen annehmen und werfen können. Diese Menschen sind hochsensibel und erleben Kommunikation auf ihre ganz eigene, manchmal sehr schmerzhafte Weise. Gehen wir einen Schritt weiter und lassen zwei Personen von den entgegengesetzten Enden der Menschenkette miteinander kommunizieren. Der Einfachheit halber nenne ich sie Ritter und Wattemensch. Jeder der beiden kommuniziert so, wie er es gewohnt ist und wie er es bevorzugt. Der Ritter spricht mit Hilfe von Eisenkugeln und der Wattemensch wirft mit Watte- oder Wollbällen.

 

Man kann sich ausmalen, wie schwierig das für beide Seiten ist. Der Wattemensch ist den Eisenkugeln des Ritters recht schutzlos ausgeliefert. Vielleicht schafft er es, ein paar davon auszuweichen, die meisten aber werden ihn treffen. Nach dem Gespräch muss er sich dann um die Wunden kümmern und das braucht seine Zeit. Manchmal bleiben Narben zurück. Er versucht, Grenzen zu setzen und dem Ritter klarzumachen, dass die Eisenkugeln ihm Schmerzen verursachen, aber seine Wattebausche erreichen den Ritter nicht immer oder sie legen sich so sanft auf dessen Rüstung, dass er sie nicht einmal bemerkt. Und so wirft er weiter mit Eisenkugeln und verletzt den Wattemenschen unbewusst und fast immer auch ungewollt. Das ist für beide Seiten sehr frustrierend. Der Ritter versteht nicht, warum der Wattemensch so empfindlich ist, obwohl er es doch nur gut meint, und der Wattemensch hat das Gefühl, nicht gehört oder verstanden zu werden. Er hat nun folgende Möglichkeiten: Entweder lernt er, harte Bälle zu werfen, um sich bemerkbar zu machen und die Dringlichkeit der Situation aufzuzeigen (Es müssen ja nicht direkt Eisenkugeln sein, aber zumindest ein Material, das vom Ritter eindeutig bemerkt wird.) oder er findet eine Möglichkeit, sich der Situation auf eine Art und Weise zu entziehen, die keine Missverständnisse zulässt. Wenn beides nicht funktioniert, versucht er irgendwie durchzuhalten und kümmert sich danach um die Heilung seiner Wunden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder von uns lernen kann, andere Kommunikationstypen zu erkennen und einen Weg zu finden, mit dem alle Gesprächspartner gut und vor allem gesund leben können. Der Ritter kann neue Materialien entdecken und die aussuchen, die für den Wattemenschen angenehm und akzeptabel sind. Und der Wattemensch kann lernen, dass harte Bälle nicht jedem wehtun und es somit in Ordnung ist, manche Menschen damit zu beschießen; auch wenn er sich damit vielleicht nie anfreunden wird. Sich dem Gegenüber anzupassen heißt nicht, sein eigenes Wesen zu verlieren. Es ist lediglich eine Geste des Respektes. Und wenn sich Gesprächspartner in der Mitte treffen, gewinnen alle.

 

Ich lade dich ein, den Gedanken weiterzuspinnen und die Menschen in deinem Umfeld zu beobachten. Welche Schutzausrüstung haben die, mit denen du besonders gut oder besonders schlecht zurechtkommst? Wie bist du selbst? Welcher Weg führt dich persönlich zu besserer Kommunikation und mehr Verständnis für den Anderen? Bist du bereit, diesen Weg zu gehen, den ersten Schritt zu tun, dem andere dann vielleicht folgen? Ich wünsche es dir. Von ganzem Herzen. Denn Worte haben Macht und mit dieser Macht kann man Vieles bewegen.

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